Porträtfotografie – Vom Erkunden des Gegenübers zur Entdeckung des eigenen Ichs
Autor: Oliver Spalt
Porträtfotografie fördert das Verständnis für sich selbst und den Anderen
Fotografieren meint (Be-)Schreiben mit Licht. Indem ich fotografiere bringe ich mich auf eine einmalige Art und Weise zu meiner Umwelt in Bezug. Wenn ich jemanden porträtiere versuche ich, einen Teil seines Wesens einzufangen. Dazu muss ich mich auf den anderen einlassen. Zwischen dem Fotografen und dem Porträtierten entsteht eine zwischenmenschliche Beziehung. Dieses verbindende Element lässt sich sehr gut in die pädagogische Arbeit (nicht nur) mit Kindern und Jugendlichen einbinden.
Portätfotografie zeigt Jugendlichen ein neues Bild von sich selbst.
In der Jugendphase spielen die Themen Identität und Körper eine besondere Rolle. Porträtfotografie kann hier helfen, den eigenen Körper in einem anderen Licht zu sehen und sich mit dem eigenen Aussehen und der Identität auseinander zusetzen.
Viele Jugendliche fühlen sich in ihrem Körper unwohl. Zum Vorbild haben sie die Models aus Werbung, Sport und der Musik. Oft ist Ihnen gar nicht bewusst, wie sehr diese Fotos digital manipuliert worden sind, um den perfekten Look zu erreichen. Im Vergleich zu diesen „Idealen” konzentrieren sich Jugendliche auf ihre von ihnen selbst festgestellten „Unschönheiten“. Der Unterschied zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung kann gravierend sein.
Durch Kleidung, Schminke, fotografische Gestaltung, Beleuchtung und Nachbearbeitung kann man das Bild eines Menschen entscheidend verändern. Es lassen sich Aspekte des eigenen Wesens ablichten. Man kann aber auch ausprobieren, jemand anderes zu sein. Bei Porträts lässt sich gut mit anderen Outfits, Körperhaltungen oder Gesichtsausdrücken spielen. Jugendliche können erfahren, wie sie wirken wenn sie sich schminken, verkleiden oder in Rollen schlüpfen, in denen sie sich schon längst einmal erleben wollten. Sie werden feststellen, wann sie sich wohl fühlen und wann sie authentisch wirken. Durch die digitale Bildbearbeitung können sie sich selbst noch weiter entfremden und „verschönern“. Sie lernen so ganz selbstverständlich, dass das vorgegaukelte Schönheitsideal eben nur ein Ideal und keine Wirklichkeit ist.
Wenn sich Jugendliche produktiv mit ihrem Körper und dem Bild davon auseinander setzen, erfahren sie, dass andere die von ihnen gesehenen Makel gar nicht wahrnehmen oder manchmal sogar attraktiv finden. Sie sehen sich selbst aus einer anderen Perspektive als nur frontal vor dem Spiegel. Im Austausch mit anderen über dieses Thema können sie erfahren, dass diese Diskrepanz von Selbst- und Fremdbild durchaus normal ist.
Durch die Beschäftigung mit der Porträtfotografie erfahren Jugendliche, wie leicht Fotos manipulierbar sind, wie wertvoll ein wirklich echter Ausdruck ist, aber auch wie sie ihr Outfit und ihr Verhaltensrepertoire erweitern können. Durch die pädagogisch begleitete Arbeit mit ihrem eigenen Bild können Jugendliche mehr und mehr zu ihrer eigenen Person und ihrem Aussehen finden sowie eine eigene Identität und ein positiveres Selbstbild entwickeln.