Wann ist ein Mann ein Mann? – Wann ist eine Frau eine Frau?

Portraitaufnahmen zur Identitätsfindung junger Männer und junger Frauen mit Migrationshintergrund

Welche Ideale und Werte sind es, an denen sich junge Männer/junge Frauen heutzutage orientieren? Wovon träumen sie jenseits der Internet-, Fernseh- und Musikwelt? Welche Lösungen entwickeln sie für den Spagat zwischen moderner Lebenswelt und den Prägungen und Erwartungen ihrer Eltern?

Diesen Fragen gingen die Mitarbeiter des Stadtteilzentrums Treff am Park, Lippstadt (Sozialdienst Katholischer Männer) in Kooperation mit der Pestalozzi Förderschule, Lippstadt in einer ergebnisreichen fotopädagogischen AG nach. 8 Jungen und 10 Mädchen im Alter von 11-15 Jahren besuchten ein halbes Jahr lang, einmal pro Woche, den Jugendtreff („TAP“ )um gemeinsam um in der „Kalender-Foto-AG“ über Rollenerwartungen, Klischees und das Fremd- und Selbstbild zu sprechen.

In den ersten Stunden ging es den Jugendlichen darum, sich selbst einmal vor der Kamera auszuprobieren. Sie wollten möglichst alle zusammen auf einem Foto sein, sich in gestellten Posen zeigen – denn keiner traute sich alleine vor der Kamera zu stehen. Es ging zunächst darum Berührungsängste abzubauen und gegenseitiges Vertrauen zu der „Kalender Idee“ aufzubauen. Den Jugendlichen waren eher aufreizende „Playboy“ Kalender präsent, welche „Delphine, New York oder die Toskana“ zeigen, sie mussten erst ein Gespür für die Idee des Kalenders entwickeln. Die Idee war ein Querschnitt des Männerbildes aus der Sicht der Jugendlichen herausfinden. Dabei sollten vorherrschende Stereotype herausgestellt werden um an Hand dessen, Entwicklungspotentiale aufzuzeigen.

Anfangs arbeiteten Jungen und Mädchen noch zusammen. So bald es an die intensive Arbeit zur Thematik von Männern und Frauen ging, wurden die Geschlechter aufgeteilt und es entstand die geplante „junge Männer“ und die „junge Frauen“ Gruppe. Dabei wurden die Gruppen nach Möglichkeit von je einem Mitarbeiter der Einrichtungen unterstützt. Die Männer Gruppe wurde von dem Projektleiter und hauptamtlichen Mitarbeiter des „TAP“ Peter Scharff geleitet und von Herrn Walter Bunse-Esleben unterstützt. Frau Jasmin Diekmann, Praktikantin des Treff am Park, Studentin KatHo Paderborn übernahm die Leitung der Mädchengruppe unterstützt von der begleitenden Lehrerin der Pestalozzischule Frau Ulrike Osman-Christen.

Die unterschiedlichen pädagogischen Einheiten fanden in Gruppenarbeit statt indem jeweils die Mädchen und Jungs über Rollenerwartungen, Klischees und das Fremd- und Selbstbild sprachen. Die Jugendlichen haben z.B. ihre Körperumrisse in Lebensgröße gezeichnet um an ihnen bestimmte Attribute des „Mannseins“, „Frauseins“ dingfest zumachen. So wurde z.B. bei den jungen Männern Stärke, Kraft und Mut genannt aber auch gute, teure Kleidung sowie Arbeitskleidung tragen. Ebenso wurde „ein gutes Leben führen“ sowie generell „gut sein“ und Freunde haben genannt. Dabei lieferten die Angaben und Ideen der Jugendlichen mögliche Bilderideen für den Kalender. Stärke zeigen, stark sein, kräftig sein, Muskeln haben diese Elemente des Mannseins wurden in einem aussagefähigen Foto vereint. Die Mitarbeiter haben für eine der nächsten Sitzungen Hanteln organisiert um dann Fotos mit diesen Kraftsportgeräten zu erstellen. Jeder Junge wollte ein Foto von sich haben wie er Hanteln stemmt, so dass jedes Foto abwechselnd von den Jugendlichen, nach Beachtung der Studiobedingungen, aufgenommen wurde.
Die Mädchen indes waren an anderen Themen interessiert. Auf die Frage „Wann ist eine Frau eine Frau?“ antwortete die überwiegende Mehrheit der Mädchen „Wenn sie heiratet“. Die Mädchen gaben an, dass eine Frau grundsätzlich „freundlich und nett“ sein sollte. „Aussehen“ stand bei den Mädchen ganz weit oben. „Schlank, hübsch und geschminkt“ stellten sich die jungen Frauen ihr Idealbild vor, ähnlich wie bei Germanys Next Top Model. Zu einem der folgenden Termine wurde ein weißes Kleid ausgeliehen das die jungen Frauen als Hochzeitskleid umfunktionierten. Jedes Foto haben die Teilnehmerinnen abwechselnd von sich, nach Beachtung der Studiobedingungen, aufgenommen. (Dieses „Hochzeitsfoto“ taucht nicht in dem abschließenden Kalender auf. Es wurde von den Beteiligten bei der Auswahl sehr kontrovers Diskutiert. Es ist deswegen nicht Teil des Kalenders geworden.)

Am Ende entstanden auf diese Art und Weise zu jedem Thema annähernd 8-10 Motive unterschiedlicher Ausprägung. Im jeweiligen Kalender konnte allerdings nur eines erscheinen. Gemeinsam haben die TeilnehmerInnen entschieden welches Foto am deutlichsten das Thema Stärke, Schönheit etc. verkörpert, dabei kamen auch die Lehrer und Mitarbeiter des „TAP“ zu Wort. Die nicht berücksichtigten Fotos wurden den Jugendlichen per Email zugeschickt um nicht verloren zu gehen.

Von den ausgewählten Bildern zeigt ein Foto der jungen Männer einen Jungen, der einen Bauabeiterhelm trägt, im Gesicht mit Dreck beschmiert ist und eine Säge in das Bild hält, am Gürtel steckt noch ein Hammer und im Hintergrund kann man eine schwere Werkzeugkiste sehen. Das Foto entstand aus dem Wunsch der Jugendlichen heraus einen Beruf ausüben, der genug Geld einbringt um die Familie zu ernähren. Es sollte aber auch ein Beruf sein der typisch männlich ist und auch überwiegend von Männern ausgeübt wird.

Ein Foto der jungen Frauen zeigt die Reflexion eines Mädchens im Spiegel. Hierbei haben die Mädchen das Märchen Schneewittchen mit dem mehrdeutigen Satz„Spieglein, Spieglein an der Wand“ thematisiert.

Die Mitarbeiter haben erkannt, dass die Fotos hohe Durchschlagskraft zur Erkenntnis des Männer- und Frauenbildes aufwiesen. Darum entwickelten sie die Idee, die Fotos mit einem Begleitsatz zu unterstreichen. Dieser sollte allerdings keine Aussage fällen sondern das gezeigte Foto in Frage stellen. Es sollte dem Betrachter überlassen werden zu entscheiden, ob das gezeigte Foto der Wahrheit entspricht oder nicht.

Der Kalender wurde rechtzeitig zum Weihnachtsfest 2011 fertig gestellt. Zum Ende der fotopädagogischen AG gab es eine Abschlussveranstaltung bei der jedem Teilnehmer ein Kalender überreicht wurde. Auf einem Beamer wurden unter großem Gelächter und manchen erstauntem Rufen die Ergebnisse im Großformat erstmalig gemeinsam angesehen. Die fertigen Exemplare des Kalenders hängen in der kooperierenden Schule sowie im Treff am Park. Darüber hinaus wurden weitere Exemplare im direkten Umfeld der Einrichtung u.a. an mehrere Schulen, Kindergärten, politische Verantwortliche und für die Institution relevante Personen verschenkt, damit haben die Mitarbeiter einem ausgewählten Personenkreis zum Weihnachtsfest eine große Freude bereitet und auf das Projekt aufmerksam gemacht. Es wurden 100 Männer und 100 Frauen Kalender gedruckt.

Zentrales Lernziel des Projekts war die kreative Auseinandersetzung mit dem Selbst- und Fremdbild. Da alle Fotoshootings gemeinsam stattfanden, förderten sie die soziale Kompetenz der jungen Männer und jungen Frauen. Ein hohes Maß an Toleranz der Teilnehmer war überdies bei „soften & heiklen“ Themen wie verliebt sein, Freundschaft, Homosexualität und Religion erforderlich.

Bei den Mädchen stellt sich heraus, dass einige Themen wie z.B. Freundschaft, Heirat, Kinder, Religion überhaupt nicht oder nur in drastisch abgemeldeter Form m Kalender präsentiert werden konnten. Die durchführenden ProjektleiterInnen erklärten es sich damit, dass die Mädchen unter deutlich stärkerer sozialer gesellschaftlicher Kontrolle stehen als die Jungen.
Die Jugendlichen haben im Verlauf des Projekts das Fotografieren mit einer digitalen Spiegelreflexkamera (Canon 400D) kennengelernt. Unter den Studio Bedingungen eines improvisierten Baustrahlerstudios, lernten sie Lichtwirkung und Lichtsetzung kennen. Sie benutzen auch ihre Handykameras um direkt Fotos für soziale Kommunikationsplattformen wie Facebook zu benutzen.

http://www.tap-skm.de/wann_ist_ein-mann_ein-mann.html

Autor: Peter Scharff

Mai 19th, 2012 | By | Category: Beispiele für Fotoprojekte

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